DIVERSITY
Disney… Say Gay!
Ein persönlicher Kommentar zur
aktuellen politischen Debatte in Florida
Florian (RainbowMickeyRunner), Hamburg
11. März 2022
Innerhalb der letzten zwei Jahre schien sich Einiges getan zu haben, was die Themen Vielfalt, Toleranz & Inklusion bei Disney angeht. Doch gerade die letzten zwei Wochen nähren Zweifel daran, wie ernst es die Walt Disney Company mit ihrem Einsatz für die LGBTQ+ Community eigentlich wirklich meint… Grund genug, in diesem Artikel für Euch einmal genauer hinzuschauen und zu erläutern, worum es im Einzelnen geht!
Today's Disney Genie Recommendation#DisneyGenie pic.twitter.com/moRsXyXdUd
— How Bowers (@GoAwayGreen) March 8, 2022
Zu den Hintergründen…
Dafür müssen wir zunächst einmal einen Blick auf die amerikanische Politik werfen, denn konkret geht es bei der derzeitigen Problematik um den Anfang Januar 2022 eingebrachten Gesetzesentwurf HS 1557 mit dem zunächst recht harmlos klingenden Titel Parental Rights in Education. Die republikanischen Befürworter sagen dabei, das Gesetz diene dazu, Eltern mehr Kontrolle darüber zu geben, was ihre Kinder in der Schule lernen. Das Prekäre daran: das Gesetz soll dafür sämtliche Gespräche über Themen wie Genderidentität oder sexuelle Orientierung aus Vor- und Grundschulen verbannen. (So könnte z.B. untersagt werden, ein Gespräch darüber zu führen, wenn Kinder von zwei Vätern oder Müttern großgezogen werden.) Doch auch die Behandlung solcher Themen im Unterricht mit älteren Schüler*innen könnte davon betroffen und eingeschränkt werden. Im vorliegenden Entwurf heißt es dazu konkret:
„Ein Schulbezirk darf keine Diskussionen im Klassenzimmer über sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität in Grundschulklassen oder in einer Art ermutigen, die nicht dem Alter oder der Entwicklung von Schülern angemessen ist.“
Dies brachte dem Gesetz seitens seiner Gegnerschaft deshalb inzwischen auch den inoffiziellen Titel Don’t Say Gay-Bill ein, was auf deutsch so viel wie Sag nicht schwul-Gesetz bedeutet. Sollte sich eine Schule nicht an diese Vorgaben halten, können Eltern rechtliche Schritte einleiten und die entsprechende Bildungseinrichtung sogar verklagen. Dementsprechend nachvollziehbar ist wohl, dass sich LGBTQ-Organisationen wie das Trevor Project oder auch die Human Rights Campaign entsetzt über dieses Vorhaben zeigen. Vor allem, da man in Untersuchungen festgestellt hat, dass sich queere Jugendliche gerade durch den positiven Umgang mit LGBT-Themen in der Schule in ihrer Identität bekräftigt und bestätigt fühlen und es dadurch sogar zu weniger Suizidversuchen kommt. All dies würde durch das Don’t Say Gay-Gesetz verhindert werden. Brandon Wolf – Pressesprecher von Equality Florida – geht sogar soweit, dass die Verordnung jungen Menschen, die anfangen sich als LGBTQ zu identifizieren, zu verstehen gibt, dass „ihre bloße Existenz unangemessen sei“.
Und Disney? Schweigt zunächst…
Doch was hat all dies nun mit Disney zu tun? Wie sich viele von Euch vielleicht denken können, gehört der Unterhaltungsriese vor allem durch das Walt Disney World Resort in Orlando mit über 62.000 Castmembern zu einem der größten Arbeitgeber im US-Bundesstaat Florida. Dementsprechend bedeutend ist selbstverständlich auch der Einfluss, den ein solches Unternehmen auf die politischen Verhältnisse hat. Und durch Initiativen wie die Reimagine Tomorrow-Kampagne, die 5 Keys mit dem Inklusions-Schlüssel als Herzstück oder auch die immer umfangreichere Rainbow Disney Collection sollte man meinen, dass die Walt Disney Company sich in den vergangenen Jahren mehr und mehr zu einem Vorzeigeunternehmen entwickelt hat, was die Themen Toleranz, Vielfalt und Akzeptanz angeht.
Umso verwunderlicher war es denn auch, dass es seitens Disney bis Anfang März 2022 keinerlei offizielles Statement zum Don’t Say Gay-Gesetz gab. Es zeigte sich vielmehr, dass der Unterhaltungskonzern republikanische Vertreter*innen, die den Gesetzesentwurf aufgesetzt und vorangetrieben haben, durch politische Spenden sogar noch finanziell unterstützt hat – wenngleich man sich in einem internen Schreiben an die Castmember darauf berief, dass man nicht direkt den Gesetzesentwurf HS 1557 unterstützt habe, sondern allgemein Demokrat*innen & Republikaner*innen Spenden zukommen lassen habe – ein in den USA durchaus übliches Verfahren. Nichtsdestotrotz wuchs die Enttäuschung innerhalb der LGBTQ+ Community mehr und mehr, hatte man sich doch von einem Unternehmen wie Disney, was in den letzten Jahren durchaus liberaler und sensibler in Bezug auf solchen Themen zu werden schien, mehr Unterstützung und vor allem Mut in dieser Angelegenheit gewünscht.
Da half es auch nichts, dass es schließlich doch noch ein offizielles Statement seitens des Disney-Konzerns gab, in dem jedoch ebenfalls kein direkter Bezug zum eigentlichen Gesetzesentwurf erkennbar war. Vielmehr berief man sich darauf, man wollte vor allem durch die besondere Willkommenskultur und die verschiedenen filmischen Inhalte und Formate Einfluss darauf nehmen, zukünftig eine integrativere Welt zu erschaffen. Vielen ging dies – aus meiner Sicht verständlicherweise – jedoch nicht weit genug…
NEW: Disney responds to protests and calls for action surrounding Florida's "Don't Say Gay" Bill, saying in part, "The biggest impact we can have in creating a more inclusive world is through the inspiring content we produce."
MORE: https://t.co/AwwtfrXXVI pic.twitter.com/79iyWyt02B
— Good Morning America (@GMA) March 4, 2022
Man versucht Schadensbegrenzung zu betreiben!
Und so kam, was sich wohl niemand aus der LGBTQ+ Community gewünscht hatte: Bei der finalen Abstimmung im Senat des US-Bundesstaats Florida wurde das Gesetz am Dienstag, den 8. März 2022 tatsächlich mit einer knappen Mehrheit von 22 zu 17 Stimmen verabschiedet. Nun liegt es am republikanischen Gouverneur Ron DeSantis, ob das Gesetz durch seine Unterschrift tatsächlich in Kraft tritt. Seine generell Zustimmung hatte DeSantis im Vorfeld bereits signalisiert.
Zwar sprach sich Disney-CEO Bob Chapek auf der am 9. März 2022 digital abgehaltenen Aktionärsversammlung der Walt Disney Company doch noch verhältnismäßig konkret gegen das Don’t Say Gay-Gesetz aus, nachdem er in einer internen Nachricht an die Castmember angab, Disney habe sich zu dieser politischen Angelegenheit zunächst ganz bewusst nicht öffentlich äußern wollen und vielmehr versucht, im Hintergrund Einfluss auf das Abstimmungsergebnis zu nehmen. Ändern am finalen Abstimmungsergebnis des Senats tat dies freilich nichts mehr – hierzu hätte man seitens der Geschäftsführung einfach früher offensiver und mutiger sein müssen.
Und selbst das Versprechen Chapeks in diesem Zusammenhang, man wolle als ein weiteres von über 120 US-Unternehmen der Human Rights Campaign (HRC) – einer der größten lesbisch, schwulen, bisexuellen und transgender (LGBT) Lobby-Organisationen in den Vereinigten Staaten – beitreten und einen Gesamtbetrag von 5 Millionen Dollar an diese und andere Organisationen spenden, die sich für die Rechte von LGBTQ+ einsetzen, schien zuletzt doch eher wenig zur Schadensbegrenzung beizutragen. HRC zum Beispiel erwiderte dieses Angebot nur ein paar Stunden später damit, dass man die Spende der Walt Disney Company so lange ablehnen würde, bis man sich auf das öffentliche Engagement des Unternehmens zu 100% verlassen könnte und es zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Befürworter*innen von LGBTQ-Rechten käme, sodass Gesetzesentwürfe wie das Don’t Say Gay-Gesetz zukünftig gemeinsam verhindert würden. Das Statement Chapeks, so HRC Interims President Joni Madison, sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, wäre aber zunächst nur ein erster Schritt von vielen weiteren.
Auch die Kritik aus den eigenen Reihen ist groß…
Und dass es im Hause Disney trotz zahlreicher positiver Entwicklungen in Bezug auf Vielfalt, Toleranz und Inklusion tatsächlich noch Nachholbedarf gibt, macht nicht zuletzt auch noch ein Schreiben zahlreicher LGBTQIA+ Mitarbeiter*innen und ihrer Straight Allies der Pixar Animation Studios deutlich, die darin vor allem beklagen, dass Disney in der Vergangenheit darauf bestand, „fast jeden Moment offenkundig schwuler Zuneigung“ zu entfernen, selbst wenn es gegen diese Forderungen sowohl auf Seiten der Kreativteams als auch der Geschäftsleitung von Pixar Einspruch und Proteste gab.
Dabei beruft sich das Studio auf ein internes Memo von CEO Bob Chapek vom 7. März 2022 an alle Mitarbeiter*innen der Unternehmens, in dem er hervorhob, dass Filme und Serienformate wie Encanto, Black Panther, Coco, Soul, Modern Family, Summer of Soul oder Love, Victor in ihrer Diversität allesamt ein stärkeres Statement darstellen würden als einzelne Tweets oder Lobby-Anstrengungen, um damit noch einmal seinerseits das bisherige Schweigen des Unternehmens zu rechtfertigen.
BREAKING: Today's statement by @Disney CEO Bob Chapek against the "Don't Say Gay" bill has failed to satisfy many Disney employees
A letter from @Pixar staff to Disney leaders, obtained by https://t.co/Gl6evXRDcZ, details their anger and demands
Follow along if interested pic.twitter.com/GJnne22mdy
— Judd Legum (@JuddLegum) March 10, 2022
Am Ende stellt sich natürlich die Frage: Wie verhält man sich nun selber als queerer Disney-Fan und -Blogger zu all dem? Und offengestanden: eine direkte Antwort darauf habe auch nicht. Natürlich finde auch ich es wie viele andere nicht nur äußerst bedauerlich, sondern geradezu erschreckend, dass man seitens der derzeitigen Unternehmensführung so lange gebraucht hat, zur Problematik des Don’t Say Gay-Gesetzes ein öffentliches Statement abzugeben. Nicht zuletzt natürlich, weil vor allem in den sozialen Medien die Enttäuschung so vieler Castmember und Disney-Fans der LGBTQ+ Community so stark zu spüren war – und auch immer noch ist.
Meine ganz persönliche Antwort auf diese Problematik ist, dass ich mich – unter anderem mit diesem Blogbeitrag – solidarisch mit all jenen zeigen möchte, die mutig genug waren, in den vergangenen Tagen ihre Stimme zu erheben und somit – wenn auch in diesem Falle leider wohl zu spät – den derzeitigen CEO Bob Chapek doch noch dazu gebracht haben, sich öffentlich zu äußern und zumindest klarer zu positionieren als vorher. All diesen Castmembern, Aktivist*innen, Journalist*innen, Blogger*innen, Influencer*innen und Straight Allies der LGBTQ+ Community möchte ich einfach sagen: DANKE! Danke für Euren Mut, Eure Entschlossenheit, Eure Entschiedenheit und natürlich vor allem Eure Hartnäckigkeit in dieser Angelegenheit.
Auch wenn wir gesellschaftlich bereits viel erreicht haben, was die Gleichstellung von LGBTQ+ angeht, so sehen wir, dass uns all diese Errungenschaften nur allzu leicht auch wieder genommen werden können. Und so hoffe ich, dass ich auch Euch Disney-Fans dazu animieren kann, sich solidarisch mit uns Queers zu zeigen und wachsam zu bleiben, sodass wir trotz aller Liebe zu Disney immer auch ein Auge darauf haben, dass auf all die großen Worte und Versprechungen im Hinblick auf Offenheit, Toleranz und Vielfalt schlussendlich auch wirklich Taten folgen.
Fast schon ironischerweise ist übrigens gerade am 9. März 2022 auf Disney+ eine neue Folge der Serie Die Prouds: Lauter und Trauter mit dem Titel Vaterfiguren erschienen, in der Protagonistin Penny Proud trotz aller Widerstände ihres Umfeldes mutig genug ist, ihre Stimme für Toleranz und Akzeptanz innerhalb ihres Umfelds für das schwule Ehepaar Barry & Randall Leibowitz-Jenkins – im Original übrigens von keinen Geringeren als Zachary Quinto & Billy Porter gesprochen – und ihre beiden Adoptivkindern zu erheben und dadurch am Ende sogar ein Umdenken bei Freunden, Familie und Mitschülern bewirkt. Vielleicht nimmt sich Disney-CEO Bob Chapek ja einmal die Zeit dafür, sich diese Episode aus seiner eigenen Kreativschmiede in Ruhe anzuschauen. Wenn Disney vor allem durch seine Inhalte und Formate bewirken kann, gemeinsam eine integrativere Welt zu erschaffen, vielleicht bewegt Penny Prouds Mut und Entschlossenheit ja auch ihn in seiner Position als Konzernchef zukünftig offensiver für die Themen Toleranz, Akzeptanz & Vielfalt einzutreten! Zu wünschen wäre es…
[Nachtrag vom 12. März 2022: Inzwischen hat sich Disney-CEO Bob Chapek in einem offiziellen Statement für sein langes Schweigen bezüglich des Don’t Say Gay-Gesetzes entschuldigt und angekündigt, sowohl das Vorgehen in Bezug auf politische Spenden als auch die Zusammenarbeit mit Lobbygruppen der LGBTQ+ Community überarbeiten und reformieren zu wollen.]
Wie man sieht, bringt es also tatsächlich etwas, sich wehrhaft zu zeigen und seine Stimme in solchen Angelegenheiten zu erheben!
In diesem Sinne: STAY LOUD & PROUD!
Euer RainbowMickeyRunner
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