Raya und der letzte Drache – Wegweisend in vielerlei Hinsicht!

Raya und der letzte Drache – Wegweisend in vielerlei Hinsicht!

LGBTQ+

Raya und der letzte Drache

Wegweisend in vielerlei Hinsicht!

Florian (RainbowMickeyRunner), Hamburg

11. März 2021

Seit 5. März ist Disneys neuester Animationsstreifen auf Disney+ als VIP-Zugang verfügbar. Ich habe mir den Film einmal genauer für Euch angeschaut und beleuchte in diesem Beitrag, warum wir durch ihn einer zukünftigen queeren Hauptfigur in einem Disney-Zeichentrickfilm vielleicht ein ganzes Stück näher gekommen sein könnten.

© Disney

Spätestens seit Vaiana im Jahr 2016 und Die Eiskönigin II vor gerade einmal zwei Jahren wissen wir: es tut sich was im Hause Disney, wenn es darum geht, veraltete Geschlechterrollen und traditionalistischer Erzählweisen abzulegen, die im 21. Jahrhundert einfach nicht mehr zeitgemäß erscheinen. Genug von den althergebrachten Geschichten, in denen die Männer die Helden und die Frauen das schmückende Beiwerk sind, die eigentlich nur zwei Aufgaben besitzen: gut auszusehen und sich in eine so missliche Lage zu bringen haben, dass sie vom vermeintlich „starken Geschlecht“ schlußendlich gerettet werden können.

All dies bietet Raya und der letzte Drache – der 59. abendfüllende Animationsfilm aus der Schmiede der Walt Disney Animation Studios – nicht. Dafür wartet er mit reichlich Frauenpower, einer wahre Pracht an farbgewaltigen Landschaften sowie atemberaubenden Action-Szenen auf, von denen einige durchaus auch einem Marvel-Film entspringen könnten. Und – auch das muss an dieser Stelle erwähnt werden – zum ersten Mal in der Geschichte des Unternehmens steht eine Heldin der südostasiatischen Kultur im Mittelpunkt der Handlung. Als ob das nicht schon innovativ genug wäre, könnte der Film möglicherweise auch noch durch eine weitere Besonderheit bahnbrechend sein… denn durch seine unkonventionelle Darstellung von Weiblichkeit in den unterschiedlichsten Formen scheint es tatsächlich gar nicht mehr so ein weiter Weg hin zur ersten offen queeren Hauptfigur in einem Disney-Zeichentrickfilm zu sein.

Wie ich zu dieser Annahme komme? Die amerikanische Schauspielerin Kelly Marie Tran, die der namensgebenden Titelheldin im englischen Original ihre Stimme leiht, ging in einem Interview mit der Vanity Fair so weit, dass wir es bereits jetzt im Falle von Raya offensichtlicher als je zuvor mit einer queeren Hauptfigur in einem Disney-Animationsfilm zu tun haben. Eine Schlüsselszene für diese These stellt für sie dabei ein Aufeinandertreffen zwischen Raya und ihrer Erzfeindin Namaari dar, bei dem sie ihrer Rivalin mit einem verschmitzten „Hallo, Prinzessin Undercut“ entgegentritt. Und tatsächlich klingt diese Begrüßung eher neckend und kokettierend als aggressiv und zum Kampfe ansetzend.

© Disney

Rayas Gegenspielerin Namaari ist denn zugleich auch ein schönes Beispiel dafür, wie vielschichtig und auch unkonventionell die Repräsentation von Frauen in Disney-Filmen bereits heute ist. Mit ihrer athletischen Statur, dem asymmetrischen, fast schon burschikosen Haarschnitt sowie ihrem Mut, ihrer Zielstrebigkeit und Kampfeslust haben wir es bei ihr tatsächlich mit einem Charakter zu tun, der wohl mehr als je zuvor mit den klassischen Attributen von weiblichen Disney-Figuren bricht. Vor allem für junge Menschen der LGBTQ+ Community finde ich dies nicht nur erfreulich, sondern geradezu essentiell wichtig, finden sie sich in dieser nonkonformistischen Darstellung von Weiblichkeit wahrscheinlich eher wieder als in den Vorgängerinnen bisheriger Animationsfilme aus dem kalifornischen Burbank.

Und wenngleich Kelly Marie Tran im Rahmen des Interviews noch einmal explizit darauf hinweist, dass ihre Interpretation von Raya nicht unbedingt der offiziellen Idee von Disney entspricht, scheint es doch mehr als augenscheinlich zu sein, dass Raya und der letzte Drache eine spannende Weiterentwicklung dessen darstellt, was wir schon seit Anfang der 1990er Jahre beobachten: starke und tatsächlich geradezu emanzipierte Frauenfiguren als Titelheldinnen, die sich auch ohne männliche Hilfe zurecht finden. Sie übernehmen nicht nur für sich selber, sondern auch für ihre Heimat und ihre Mitmenschen Verantwortung und versuchen aller Widerstände und früheren Verletzungen zum Trotz die Fehler vorangegangener Generationen wiedergutzumachen.

© Chiara Hammerer

Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass auch die deutsche Stimme von Raya, Christina Ann Zalamea (auf YouTube besser bekannt als Hello Chrissy) der Lesart ihrer amerikanischen Kollegin durchaus etwas abgewinnen kann. Nachgefragt, wie sie das Verhältnis zwischen der von ihr gesprochenen Titelheldin und Namaari beschreiben würde und ob auch sie bei der Synchronisation des Films ein gewisses Knistern zwischen den beiden Protagonistinnen wahrgenommen habe, sagt sie:

„Darüber habe ich tatsächlich nicht nachgedacht und auch wenn Disney nicht die Intention einer Anspielung hatte, finde ich persönlich die Ansicht von Kelly Marie Tran echt schön! Auf jeden Fall haben die beiden Figuren eine starke emotionale Verbindung und ihre Schicksale sind miteinander verflochten. Auch wenn Ihre Feindschaft aufgrund der Loyalität zu ihren unterschiedlichen Völkern und der Verrat erstmal im Vordergrund stehen, zeigt Raya dadurch, dass sie Namaaris Drachenbrosche in Ehren hält, dass sie die Hoffnung in die Verbindung, die sie für einen Tag hatten, all die Jahre nicht aufgegeben hat.

Und… soviel sei für alle verraten, die den Film noch nicht geschaut haben: Der Drachenbrosche kommt im Laufe der Geschichte eine ziemlich zentrale Bedeutung zu und zeigt für Christina deshalb nicht zuletzt, „dass auch Namaari eine tieferliegende positive Verbindung zu Raya verspürt“.

© Disney

Selbstverständlich wäre es wünschenswert, dass Disney in Zukunft auch einmal den Mut beweist, tatsächlich eine offen queere Figur in den Mittelpunkt eines Filmes zu stellen. Dennoch zeigt auch Raya und der letzte Drache bereits wunderbar auf, in welche Richtung sich die Animationssparte bei Disney in punkto Diversität und emanzipierten Frauenrollen in den kommenden Jahren noch weiter entwickeln kann.

Zuletzt bleibt es natürlich jeder/m Zuschauer*in selber überlassen, wie er das Verhältnis von Raya und Namaari zueinander deutet, doch vielleicht kommt es am Ende auch gar nicht so sehr darauf an. Im Mittelpunkt des Films steht ja eben gerade nicht die Suche nach Liebe, sondern vielmehr, wie wir wieder lernen können, einander zu vertrauen und uns gemeinsam eine bessere Zukunft aufzubauen. Und weil ich glaube, dass genau diese Kernbotschaft von Raya und der letzte Drache in unserer aktuellen Situation aktueller und wichtiger als je zuvor ist, kann ich Euch allen den neuesten Animationsfilm aus dem Hause Disney nur wärmstens ans Herz legen.

Möge er durch seine vielschichtigen Figuren, seine Wertevorstellungen von Harmonie, Vertrauen und Zusammenhalt sowie den Glauben an eine bessere Zukunft ein weiterer Schritt in Richtung eines vielfältigeren und zeitgemäßeren Disney-Universums sein, in dem sich Menschen jedweder ethnischer oder sozialer Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, Religion oder sexueller Orientierung gesehen, akzeptiert und repräsentiert fühlen können.

In diesem Sinne: Weiter so, Disney! – und an Euch Leser*innen: Auf bald! 

Euer RainbowMickeyRunner

Florian