Fire Island – queer, romantisch und ganz schön frech
QUEER DISNEY+
Fire Island
– queer, romantisch und ganz schön frech –
Florian (RainbowMickeyRunner), Hamburg
15. August 2022
Mit Fire Island bekommt Disney+ Star im Nachklang der diesjährigen Pride-Feierlichkeiten seine erste queere Romcom-Eigenproduktion. Doch wer nun vermutet, dass es sich um ein weiteres, eher braves Format im Stile von Love, Victor handelt, der irrt gewaltig…
…denn Fire Island von Regisseur Andrew Ahn ist in vielerlei Hinsicht exzentrischer, schriller und derber als alles, was es bisher in punkto LGBTQIA+ auf der hauseigenen Streamingplattform der Walt Disney Company gab. Warum die queere Adaption von Jane Austens Roman Stolz und Vorurteil aber vielleicht gerade deshalb überaus sehenswert ist und warum dabei auch alle Romantiker*innen voll auf ihre Kosten kommen, davon erfahrt Ihr in diesem Blogbeitrag!
Fire Island – das „schwule Disney World“
vor den Toren New Yorks
Hand aufs Herz! Wer von Euch hat bis zum Lesen dieser Zeilen überhaupt schon einmal etwas von Fire Island gehört? Sicher kaum jemand, oder? Und doch ist dieser der Stadt New York sowie der Insel Long Island vorgelagerte Küstenstreifen bereits seit den 1960er Jahren jeden Sommer fest in schwuler Hand. Früher, um den damals noch regelmäßig stattfindenden Razzien und Gängeleien der New Yorker Polizei zu entkommen, heute um nach einer harten Arbeitswoche die Seele baumeln zu lassen, zu feiern und dabei natürlich auch den ein oder anderen potentiellen One-Night-Stand mitzunehmen.
Dieses Ziel haben auch die beiden Freunde Noah (Joel Kim Booster) und Howie (Bowen Yang), die wie jedes Jahr zusammen mit ihrer Clique (Matt Rogers als Luke, Tomás Matos als Keegan & Torian Miller as Max) im Haus ihrer Freundin Erin (Margaret Cho) ihren einwöchigen Sommerurlaub in den Fire Island Pines verbringen. Noah will dabei einfach nur Spaß haben, während Howie sich schon seit längerer Zeit nach einem festen Partner sehnt, wovon sein Kumpel jedoch nicht allzu viel hält. Und so gibt Noah seinem Freund Howie das Versprechen, so lange keinen Sex zu haben bis Howie nicht ebenfalls von einem heißen Typen flachgelegt wurde… ohne zu wissen, worauf er sich dabei einlässt. Denn als Howie auf den einfühlsamen Charlie (James Scully) und seinen versnobten Freund Will (Conrad Ricamora) trifft, wird ziemlich schnell klar, dass sich dies Unterfangen als gar nicht so einfach herausstellt!
Die Handlung des Films folgt dabei ziemlich stringent Jane Austens Roman Stolz und Vorurteil (Originaltitel übrigens – wie passend: Pride & Prejudice) und beschäftigt sich dabei ebenfalls mit der Frage, warum und mit welchem Ziel Menschen überhaupt Beziehungen miteinander eingehen: aus reiner Liebe, um einfach nicht allein zu sein oder unter Umständen auch, um sich materiell besser zu stellen.
Und es lässt sich bereits zu Beginn schon einmal attestieren, dass Joel Kim Booster, der neben der Verkörperung von Noah mit diesem Film zugleich auch sein Debüt als Drehbuchautor gibt, es wirklich ganz hervorragend verstanden hat, mit Fire Island die Motive von Jane Austens Bestsellerroman zu verwenden und auf seine ganz eigene Weise ein nicht nur zeitgemäßes und schrilles, sondern immer wieder auch zu Herzen gehendes Porträt der heutigen Gay-Community zu zeichnen.
Stolz & Vorurteil – the queer way!
Der Film schafft damit das große Kunststück, einerseits als eine Form von Dokumentation und Milieustudie des Landstrichs Fire Islands und dessen bewegter Geschichte zu sein und andererseits durch die fiktive Handlung und ihre vielschichtigen, diversen Charaktere immer wieder spannende zwischenmenschliche Momente zu kreieren, die offenbaren, worin bei all der Sehnsucht nach Zerstreuung, Spaß und sexuellen Eskapaden der Besucher dieses Eilands die eigentlichen Sorgen, Nöte und Bedürfnisse heutiger schwuler Millenials bestehen.
Und auch wenn wir es bei Fire Island mit einer romantischen Komödie zu tun haben, die die Zuschauer*innen nicht nur unterhalten, sondern dann und wann auch anrühren und vielleicht sogar ein wenig zum Weinen bringen soll, nehmen die Macher gleichzeitig jedoch auch kein Blatt vor den Mund, um aufzeigen, dass auch in der Gay-Community nicht „alles Gold ist, was glänzt“.
Vielmehr zeigt der Film, dass sich auch diese Gesellschaftsgruppe bei aller Anstrengung nach Gleichberechtigung, Akzeptanz und Toleranz in den vergangenen Jahrzehnten sowohl sich selbst als auch anderen gegenüber ebenfalls nicht immer vollkommen vorurteilsfrei und tolerant verhält. Themen wie die Einstellung zum eigenen Körper oder die Bedeutung von Mode und anderen Konsumgütern als Statussymbol werden dabei ebenso ins Blickfeld gerückt wie auch die Problematik von Rassismus und Diskriminierung gegenüber Menschen anderer ethnischer Herkünfte innerhalb der eigenen Community. Ein Problem, das z.B. für Menschen asiatischen Ursprungs bis heute leider immer noch allzu häufig an der Tagesordnung ist.
Saturday Night Life lässt grüßen…
Doch Fire Island kommt dabei erfreulicherweise trotz aller politischer und gesellschaftlicher Ambition ohne den moralisch erhobenen Zeigefinger auf. Stattdessen legt der Film durch seine messerscharfen Dialoge und pointierten Gags den Finger in die entscheidende Wunde, sodass auch der Spaß und die Unterhaltung niemals zu kurz kommen. Es ist geradezu augenscheinlich, wie sehr der Schreibstil von Joel Kim Booster durch seine Vergangenheit als Stand-Up-Comedian geprägt ist. Fire Island zündet in manchen Momenten wirklich einen Gag nach dem nächsten, ist gerne politisch vollkommen unkorrekt und schreckt dabei – auch das im Vergleich zu Formaten wie Love, Victor wahrlich eine Neuerung – nicht davor zurück, auf humorvolle Art und Weise auch auf die Abgründe und Absurditäten des schwulen Lifestyles zu schauen.
Sei es nun die Underwear-Party, die selbstverständlich nicht ohne den Konsum von einschlägigen Drogen & Substanzen vonstatten gehen kann, die ständige Omnipräsenz des Smartphones mit den dazugehörigen Dating-Apps wie Grindr & Co. oder auch die Online-Sexarbeit auf Plattformen wie OnlyFans! Ja – all dies (und noch viel mehr…) wird in Fire Island aufgegriffen und thematisiert – vollkommen unverblümt, direkt und ohne Scham – was ich dem Film hoch anrechne!
Dementsprechend positiv überrascht war ich, wie offen und direkt der Film mit Sexualität und anderen heiklen Themen umgeht. Denn auch wenn man Fire Island lediglich auf Disney+ Star findet – einem Bereich, der nur mit Alterskontrolle zugänglich ist – braucht es dennoch eine gewisse Portion Mut und Offenheit seitens der Walt Disney Company, sich eine solche explizite Eigenproduktion tatsächlich zu trauen! Dafür auf jeden Fall: Chapeau meinerseits! Man darf gespannt sein, ob sich diese Entwicklung weiter so fortsetzen wird… zu wünschen wäre es!
(Kleine Sidenote dazu: Bevor sich Searchlight Pictures die Rechte am Drehbuch sicherte, war der Stoff ursprünglich einmal als Serie für den Video-on-Demand-Anbieter Quibi geplant, der jedoch 2020 seinen Dienst einstellte. Eine Tatsache, die dafür jedoch auch an einem entscheidenen Punkt des Films clever mit in die Handlung eingewoben wurde… mehr sei dazu an dieser Stelle jedoch nicht verraten – dafür müsst Ihr Euch schon den ganzen Streifen anschauen!)
Hervorheben möchte ich zu guter Letzt aber auch noch die hervorragende Musikauswahl von Fire Island. Sei es nun der eigens dafür komponierte Original Soundtrack von Jay Wadley, der durch seinen Mix aus klassischen Instrumenten wie Cembalo & Flöte und modernen Elementen wie elektronischen Beats und Synthesizer-Klängen gekonnt die Brücke zwischen der englischen Frühromantik von Jane Austen und unserer heutigen modernen Zeit schlägt. Oder auch die restliche Songlist mit Titeln wie Boys von Charli XCX, einer Coverversion von Britney Spears Sometimes der Indie-Pop-Band MUNA oder auch der umwerfende Schlusstitel Last Dance der legendären Donna Summer lassen den Film wie eine ausgelassene Sommerparty am Strand wirken, geben ihm den nötigen Flow & Drive und lassen die knapp Eindreiviertel Stunden dadurch tatsächlich wie im Fluge vergehen.
Und falls ich Euch nun neugierig gemacht habe… hier könnt Ihr vorab direkt einmal in die offiziellen Playlist des Films auf Spotify hineinhören! Ich sage Euch: es lohnt sich wirklich!
Mein persönliches Fazit
So lässt sich abschließend feststellen, dass Searchlight Pictures mit Fire Island eine wirklich äußerst gelungene diverse, unterhaltsame, aber eben auch immer wieder zum Nachdenken anregende queere Romcom gelungen ist, die definitiv in punkto Direktheit, Ekzentrik und Unverkrampftheit aus den bisherigen LGBTQ+ Formaten auf Disney+ Star heraussticht.
Der Film trifft in Ton und Bildsprache dabei aus meiner Sicht absolut den heutigen Zeitgeist der Gay-Community, legt immer wieder den Finger in die ein oder andere Wunde und nimmt sich dennoch immer wieder auch ausreichend Zeit für Intimität, Gefühl und Romantik. (Ein großes Lob an dieser Stelle auch noch explizit an Kameramann Felipe Vara de Rey für die unglaublich schönen Landschaftsaufnahmen und Kamerafahrten – da möchte man doch direkt seinen nächsten Urlaub auf Fire Island verbringen!)
Wenngleich der Film wohl vor allem für eine rein schwule Zuschauerschaft sein volles humoristisches und emotionales Potential entfaltet, kommen darüber hinaus aber auch alle anderen Liebhaber*innen von unkonventionellen romantischen Komödien hier voll und ganz auf ihre Kosten. Deswegen gibt es von mir auch satte 10 von 10 Sternen.
Freut Euch deshalb ab 19. August 2022 auf einen unkonventionellen, schrillen und unterhaltsamen queeren Sommerfilm, der an der ein oder anderen Stelle jedoch auch anrührt und zum Nachdenken anregt. Indem er den Stolz unserer Community zelebriert und sich dabei gleichzeitig auch zur Aufgabe macht, Vorurteile abzubauen, ist der Film für mich einfach der perfekten Abschluss der diesjährigen Pride-Saison an einem lauen Sommerabend vor dem heimischen Fernseher – ob nun allein oder auch in Gesellschaft!
In diesem Sinne… auf nach Fire Island!
Euer RainbowMickeyRunner
Florian